Über den Ursprung der Bilder zwischen „öffentlich“ und „privat“
In: Jank, Birgit; Vogt, Jürgen (Hg.): Ästhetische Erfahrung und ästhetisches Lernen. Dokumentation Erziehungswissenschaft. Schriften aus dem Fachbereich 06 der Universität Hamburg. Heft 13/1998, S. 167 – 186.
Angst und Scham
Angst und Scham sind zwei Momente, die den Übergang zwischen „öffentlich“ und „privat“ strukturieren. Und zwar nicht diese Angst, die als Schutzbehauptung fürs Nichtstun, als Versteck für Dummheit und Faulheit überall anzutreffen ist, die suggerieren will, daß man „wirklich“ keine Macht habe und deshalb allen Grund habe, „wirklich“ Angst zu haben. Es geht mir um die Angst und zusätzlich um die Scham als strukturierende Momente der Wahrnehmung und des Subjekts.
Angst und Scham scheinen mir produktive Momente im Umgang mit Kunst zu sein. Oder eben in der anderen Version eine „Schutzbehauptung“ gegen die Erfahrung von Kunst, so ähnlich wie die Langeweile, die eigentlich ein Überzug mit Haß ist(2).
Geschichte einer Rezeption
An der Geschichte einer Rezeption möchte ich das deutlich machen: Diese beginnt mit einem Videofilm Elke Krystufeks, einer Künstlerin, die zu den Künstlerinnen gehört, die den langweiligen und moralisierenden Forderungen eines auf biologischen und soziologischen Erwägungen beruhenden Feminismus subvertieren, einer befriedeten Geschlechterdifferenz, eines Feminismus, der sich beeilt den Forderungen eines rationalisierten Produktionsprozesses unter dem Vorzeichen der Verbesserung der Welt hinterherzurennen. Krystufek erliegt dabei nicht dem Irrtum, daß der Phallus herrsche und dieser von Männern widerrechtlich in Besitz gehalten würde. Es fehlt hier die Zeit, in extenso Arbeiten Elke Krystufeks vorzustellen.
Konfrontiert mit ihren Arbeiten tauchte etwas von dem Schrecken auf, den ich in einem anderen Beitrag beschrieben habe(3).
Ich möchte davon erzählen, wie mich dieser Filmausschnitt so irritierte, daß ich in die Kunstgeschichte zu einem Bild von Courbet floh, von dort zu Lacan kam, sich daraufhin ein weiteres Feld öffnete. Jetzt strukturiert, aber weiterhin beunruhigend. Es ist also auch ein Bericht über die Funktion des Theoretisierens. Ich habe mich dabei bemüht, die Distanziertheit, die mir als Haltung durchaus zur Verfügung steht, für einige Zeit hintan zu stellen. Dies wurde mir umso mehr erleichtert, als diese zur Genüge in der Form der Abgeklärtheit bis zum Verächtlichmachen als Reaktion auf die Arbeiten Elke Krystufeks in den einschlägigen Fanzines, z. B. in den „Texte(n) zur Kunst“ nachgelesen werden können(4) …
Anmerkungen
1) In der ersten Version waren die hier vorgestellten Gedanken Bestandteil einer Kontroverse zwischen Gunter Otto und mir im Januar 1996. Beide stellten im Rahmen des Graduiertenkollegs „Ästhetische Bildung“ im Fachbereich Erziehungswissenschaft anhand eines Künstlers, einer Künstlerin das vor, was sie als Lehrenden an der Kunst bewegt.
2) „L’ennui“, das französische Wort für Langeweile, kommt aus dem mittelalterlichen Latein des 12. Jahrhunderts, abgeleitet von „inodiare“, also von odium: der Haß, also „in den Haß hineinnehmen, mit Haß überziehen“. Im „Robert“ kann man etwa folgen-des nachlesen: „Gefühl von Leere, von Überdruß, das durch die Untätigkeit, durch eine eintönige oder uninteressante Beschäftigung hervorgerufen wird“.
Hierhin paßt gut die Definition Kants aus der „Anthropologie in pragmatischer Absicht“. Lange Weile ist die „Anekelung seiner eigenen Existenz aus der Leerheit des Gemüths an Empfindungen, zu denen es unaufhörlich strebt“ (Akd. – A. 7, 151).
Überziehen mit Haß, gleichsam als couverture, wäre im Unterschied zum Hassen eine Art, auf die Welt zu blicken, die keine Attraktion entstehen läßt, kein Interesse, keinen Raum für ein Dazwischensein (Interesse) aufkommen läßt, sondern eine ungeteilte Abwehr ist, die im Extremfall von niemandem und nichts zu durchbrechen ist, weil alles, was ins Wahrnehmungsfeld gerät, schon in glühende Ablehnung getaucht wird. Eine solche Abweisung hat den Vorteil, daß sie sich nicht in einer Zerstörung der Objekte entlädt, sondern diese nur fernhält und sich selber in Depression, geronnener Wut stillstellt und vermeintlich sich für immer bewahrt.
3) K. J. Pazzini (1995): Anwendungen der Psychoanalyse: Bildung und Kunst. In: Assmann, Kraml, u. a. (Hg.) (1996): Die andere Seite der Wirklichkeit. Ein Symposium zu Aspekten des Unheimlichem, Phantastischen und Fiktionalen. Wien Residentzverlag, S.91 – 106.
Nebenbei erweist sich die Geschichte dieser Rezeption als Parabel für Momente, wie sie auch in der psychoanalytischen Kur vorkommen können.
4) vgl. hierzu Christian Kravagna: „Ich möchte funktionieren, nicht perfekt, aber doch.“ In: Texte zur Kunst. Nr. 22. Mai 1996, S. 46.
Zur vollständigen Version (pdf):
leib_krystufek.pdf