Das Süße schmeckt doppelt so süß, wenn man das Bittere kennt

ANSPRACHE AN DIE PRODUZENTEN VON ROHSTOFFEN FÜR DIESES LAND NEBST EINER GEBRAUCHSANLEITUNG ZUR ENTWICKLUNG VON WIDERSTANDSKRAFT IN ZEITEN DES NICHT ENDEN WOLLENS DER ERHÖHUNG DER BILDUNGSAUSGABEN.
von Karl-Josef Pazzini
Eine alte Redewendung heißt: „Das Süße schmeckt doppelt so süß, wenn man das Bittere kennt.“ Ich spreche zu Ihnen als Sprecher des Koordinationsausschusses, der für die Orientierungseinheit zuständig ist.
Seien Sie herzlich willkommen zur falschen Uhrzeit am falschen Ort, aber am richtigen Tag.
Freuen Sie sich: Sie alle haben Chancen den doppelt süßen Geschmack kennen zu lernen. „Das Süsse schmeckt doppelt so süss, wenn man das Bittere kennt.“
Mehr will ich dazu nicht sagen.
Vielleicht noch das: Wie die Brüder Grimm wussten: „Es gab einmal eine Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat“. Sie wollen uns sagen: Es hilft nichts, wenn alle Wünsche in Erfüllung gehen. Das Wünschen ist wichtig, besonders beim Anfangen.
So kommt Peter Handke auch auf das „Wunschlose Unglück“.
Wünsche sind wichtige Rohstoffe in einem rohstoffarmen Land.
Wir sind ein rohstoffarmes Land. Wir müssen den Rohstoff selber produzieren. Dann ist es zwar kein Rohstoff mehr, wenn er produziert wird, sondern etwas, das aus dem Rohen herausgeführt wurde. Eruditio – die Herausführung aus dem Rohen – war ein Vorläufer des deutschen Bildungsbegriffs. Also nicht Rohkost, sondern das Üben der Zubereitung. Daraus wird Bildung. Von der Bildung ist zuwenig da.
Dazu ein Diagramm.
Wir müssen uns also, wie seinerzeit Münchhausen an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen.
Angehende Pädagoginnen und Pädagogen haben heute die Aufgabe, den Beziehungsrohstoff zu produzieren und zu veredeln, der von der gesellschaftlichen, genauerhin von unserer Art des Haushaltens aufgebraucht worden ist. Man hat gar nicht gemerkt, was man da alles verbraucht hat. Jetzt ist es weg. Und sie sollen es wieder her schaffen.
Mir ist angesichts der schon Jahrzehnte dauernden Krise des Bildungswesens klar geworden: Das waren gar keine Wunder, die Jesus vollbracht hat, dass er mit 5 Broten und zwei Fischen 5000 Leute gespeist hat. Das machen wir jeden Tag.
Das Gebäude, in dem wir heute nicht sind, weil es renoviert wird, das hatte 1960 bei seiner Eröffnung Platz für 50 Professoren und Dozenten und 450 Studenten. Demnächst haben wir, wenn’s dem 10 Jahresplan nach gelingt, ca. 100 Professoren und sonstige Lehrende und ca. 6000 Studierende. Die Professoren und Dozenten sind also jetzt schon fast sieben mal so gut wie damals. Und die Studierenden 13 mal soviel. Damit das wieder aufgeht, geht man davon aus, dass Studierende heute mehr doppelt so gut qualifiziert sind.
Und das sind Sie!
Sie bekommen hier also das, was sie noch nicht zur Genüge haben, was wir nicht zur Genüge haben, was eigentlich kaum noch da ist, aber alle brauchen: Bildung. Und das ganze darf nicht viel kosten, jedenfalls nicht soviel wie … Ich breche das ab, ich käme unweigerlich ins Politische.
Nur eins: Wenn man jemanden etwas gibt, was man nicht hat, dann ist das Betrug oder Liebe. Pädagogischer Eros …
Davon haben wir noch etwas da.
Jetzt steht in meinem Manuskript, dass mindest einer gelacht haben muss, um den Übergang zu bilden zum nächsten und letzen Gedanken.
Diejenigen von Ihnen Ihnen, die ich hier schon einmal begrüßt habe, mögen entschuldigen, dass jetzt einige Gedankenzüge folgen, die Sie schon kennen. Am Schluss wird es dann aber wieder anders. Nämlich zum „Lachen“.
Lachen erhöht die Widerstandskraft. Rein physiologisch, aber auch machtstrategisch, also politisch.
Vom Lachen heißt es bei Freud, dass es entstehe, „wenn ein früher zur Besetzung … verwendeter Betrag von psychischer Energie unverwendbar geworden ist, so daß er freie Abfuhr erfahren kann“. Man lacht, wenn ein anderer als der gewohnte, der erwartete Sinn entsteht, sich da etwas bildet, was man nur im Geheimen erwogen hat, was nicht ganz korrekt ist, was zu einem plötzlichen Kurzschluss führt.
Vor Kurzschlüssen will man Sie hier bewahren.
Das Lachen sei ein Anzeichen von Lust, von Befreiung
Käme es nicht zu einer Abfuhr, die durch Lachen ins Körperliche überginge, dann entstünde mehr oder weniger starke Angst.
Auch das ist eine Chance: Denn Angst ist interne Währung, „die allgemein gangbare Münze, gegen welche alle Affektregungen eingetauscht werden oder werden können …“ , schreibt Freud. D.h. es könnten neue Verbindungen, Zusammenhänge geschaffen werden. Das ist die strukturierende Chance der Angst. Sie wird nur gewahrt, wenn nicht sofort eine neue Bindung angeboten wird, ein neues Bild. Bei Überfürsorglichkeit, bei Verschulung oder der Dauerfrage, was man mit dem Vernommenen anfangen kann, besteht also keine Chance für Bildung oder Lachen. Sie werden es erleben.
Wenn also jemand lacht, zeigt er damit indirekt, dass er auf Planung und Kontrolle momentan verzichten kann, dass auch zumindest ein bisschen Angst da war und noch da ist. Das macht die subversive Kraft des Lachens aus.
Das ist ein Grund für ein Verdikt über das Lachen mindestens seit Platon.
In der Konvulsivität des Lachens taucht etwas vom Automatismus des Körperlichen auf, von der Konvulsivität der sexuellen Erregung, schon deshalb ist das Lachen verdächtig.
In Ecos Roman „Der Name der Rose“ geht es um die von Jorge gewollte Geheimhaltung, bzw. Vernichtung von Aristoteles Schrift über das Lachen. In der finalen Auseinandersetzung mit William sagt Jorge: „Aus diesem Buch aber könnten verderbte Köpfe wie deiner den äußersten Schluß ziehen, daß im Lachen die höchste Vollendung des Menschen liege! Das Lachen vertreibt dem Bauern für ein paar Momente die Angst. Doch das Gesetz verschafft sich Geltung mit Hilfe der Angst, deren wahrer Name Gottesfurcht ist. Und aus diesem Buch könnte leicht der luziferische Funke aufspringen, der die ganze Welt in einen neuen Brand stecken würde, und dann würde das Lachen zu einer neuen Kunst, die selbst dem Prometheus noch unbekannt war: Zur Kunst der Vernichtung von Angst!“
Ich will Ihnen zum Schluss ein Beispiel zeigen.
Da gab es nur einen kleinen Versprecher:
Sevilla, Spanien, andalusisches Regionalparlament, 3. Abstimmung zu irgendeinem Änderungsgesetzt. Die Abgeordneten werden namentlich aufgerufen, die Vorsitzende verwechselt die Anrede zwischen Herr und Frau. Das reicht manchmal. Das entwickelt eine eigene Dynamik. Der Geschlechtsunterschied ist interessant. Nach wie vor, auch bei Gleichgeschlechtlichen. Oder gerade da?