Pornographie als Gelegenheit des Genießens. Fürs Subjekt, fürs Individuum, fürs Ich?

In: Weber, Jean-Marie, Rauh, Bernhard; Strohmer, Julia (Hg.), Das Unbehagen im und mit dem Subjekt (S. 92-105). 2019. Opladen, Berlin & Toronto: Budrich

Die gegenwärtige Art des Angebots und des Gebrauchs von Pornographie – es gibt natürlich nicht die Pornographie – ist Effekt der erfolgreichen Individualisierung in neoregulierenden Gesellschaften (unbewusste freiwillige Selbstkontrolle). – Übrigens: Der Begriff der Sexualität ist eng verbunden mit der Herausbildung eines autonom gedachten Individuums.[1]
Pornographie unterlag seit der Aufklärung einem Funktionswandel.[2]Sie ist nicht mehr primär subversiv noch ist sie Entlarvung der Doppelmoral der oberen Klasse.
Neoregulierende Gesellschaftsstrukturen, die ihre Steuerung liberal nennen, fordern zum Genießen auf, um sich existent zu fühlen: Genuss ohne Reue, auch das wird durch Pornos und Journale wie Fit For Fun propagiert, schuldfrei vor allem. Die Fülle des Konsumangebots produziert jedoch scheinbar einen Mangel am Mangel: Alles ist da oder man könnte es prinzipiell haben.
Man könnte auch andersherum sagen: Verborgen und abgeschöpft wird das, was zu viel an Kräften und Fähigkeiten da ist. Dieses Potential wird kaum als Luxus innovativ genutzt, eher in spannungsabführenden Kurzschluss vernichtet. – Marx hat als erster die politische Dimension von Überproduktionskrisen und deren Bewältigung analysiert.[3]

[1] vgl.  Ritter, Joachim; Eisler, Rudolf; Kranz, Margarita (1971-2007): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Basel: Schwabe.Bd.9, Sp 726. – [2] vgl. Pazzini, Karl Josef (2017a): Es gibt: keinen Geschlechtsverkehr, aber Pornographie. Riss. Zeitschrift für Psychoanalyse. Freud – Lacan, 2017/1(85), 98-123. und Pazzini, Karl-Josef (2017b): Bildung vor Bildern. Pornographie als Bilddidaktik. In: Meyer, Torsten, Sabisch, Andrea, Wollberg, Ole; Zahn, Manuel (Hg.), Übertrag. Kunst und Pädagogik im Anschluss an Karl-Josef Pazzini (S. 303 – 322). München: kopaed – [3]  Grundsätzliche strukturelle Überlegungen hierzu finden sich Marx, Karl: Das Kapital Bd. 3 (1894). In: SED, Institut für Marxismus-Leninismus bim ZK der (Hg.), (Bd. 25 (1964)). Berlin: Dietz Verlag. S. 261ff.