Zeigestöcke und andere Medien – Zur Aggressivität von Medien in der Bildung

Vortrag „Konfigurationen. Zwischen Kunst und Medien“ 6.9.97
Manuskript, das dem Vortrag zugrundelag. Unkorrigiert. Nicht überarbeitet
Dieser Vortrag wurde veröffentlicht in: Schade, Sigrid; Tholen, Georg Christoph (Hg.): Konfigurationen. Zwischen Kunst und Medien, München: Wilhelm Fink Verlag 1999, S. 321 – 337.

Vorbemerkung
Dieser Beitrag bezieht sich auf folgende Akzente in der Diskussion über Medien: Aggressivität und Sinnproduktion wie sie beim Zeigen und Deuten vorkommen.
Aggressivität und Aggression nehmen nicht zu, ber Scham und Ekel in Bezug auf deren Wahrnehmung. Das führt zum Eindruck, Aggressivität nähme zu. Was aber zunimmt, ist die Deregulierung, die fehlende Anerkennung, daß es ohne Regelung nicht geht. Auch im Markt kann nicht die rettende Natur gefunden werden, die alles schon von selber regelt. Die Folge ist, daß Aggression als agierte Aggressivität zunimmt.
Die neuen technischen Medien sind in ihrem Gebrauch reflexiv und differenzieren so den Blick auf die alten Medien. Wer also die alten Medien lobt, muß auch angeben können, welches Defizit zu den neuen führt. Ohne Mangelerfahrung gäbe es keine medialen Veränderungen.
Sinn zeigt sich nur durch dessen Entzug: Diejenigen, die über Sinnverlust jammern, lebten davor besinnungslos. Sinn ist immer eine Konstruktion, die verändert werden muß. Solche Konstruktionen brauchen differenzierte mediale Möglichkeiten und eine Kultur der Aggressivität.
Und als Regulativ:
Bildrezeption und -produktion konstruieren manchmal vorübergehend Sinn. Das ist dann Bildung. Vor der Bildung bedarf es der Entbildung der Einbildungen. Jegliche Lehre und erst recht die Psychoanalyse müssen sich am 2. Gebot orientieren: „Du sollst Dir kein Bildnis machen!“.
Beginnen möchte ich mit einer Vielen vertrauten Beobachtung:
Daß der Gebrauch von Medien in Bildungsprozessen höchst störanfällig – jenseits der Technik im engeren Sinn – ist, zeigt schon auf einer soziologisch beschreibbaren Ebene. Es geht hier um Macht, um die Macht des Zugangs, um Brückenköpfe. Die Störanfälligkeit resultiert aus der mit den Medien verbundenen Rivalität um die Mittel zur Bespielung von Schnittstellen.
Medien befördern die Umwandlung von Aggressivität in kulturell erträgliche, wenn auch nicht immer schmerzfreie Formen.
Aggressivität kann lediglich kultiviert werden, das heißt einer ritualisierten Bearbeitung zugeführt werden (vgl. Pazzini 1995). Vermeiden kann man sie nicht. Sie erscheint dann als symbolisierte und ist erst als solche Ausgangspunkt für einen Widerstreit(1). Zu leicht sackt sie in die agierte Form ab, unter einer Oberfläche von Freundlichkeit und Kumpelhaftigkeit oder mit unbezweifelbarer Herrschaftsausübung – was unter diesem Aspekt das Gleiche ist. Aggressivität wird dann als Aggression agiert.
Im Übersetzungsprozeß der Bildung dienen Medien dazu, Fehlstellen, Abgründe zu überbrücken, eben an den Stellen, wo keine (naturgegebenen) Verbindungen auszumachen sind, Lücken zeitweise zum Verschwinden zu bringen. Die Medien ermöglichen es, mit oder ohne Wissen der Beteiligten in je unterschiedlichen Technologien, die Frage nach dem Sagbaren, dem immer schon Gesagten, dem Schreibbaren, dem noch nicht Geschriebenen, nach der Grenze des Lehrbaren oder die schon reflexive Frage nach den Mustern der vorliegenden konventionalisierten Medien, z.B. Schriften zu stellen.
Es sei denn Medien werden vorwiegend als Leimruten eingesetzt. Dann aber geht es nur um den Transport und die Präsentation von Signifikanten, die im anderen Signifikate hervorspringen lassen sollen. Aber nicht irgendwelche, sondern vorher schon ausgedachte. Dabei soll von der Arbeit der Verknüpfung und ihrer Arbitrarität abgelenkt werden. Die unhintergehbare Unsicherheit, weil Notdürftigkeit einer medialen Verbindung wird überspielt – und sei es mit der Autorität einer komplizierten medialen Technik, mit dem finanziellen und technischen Aufwand, der für ihre Installation betrieben wird.
Die Verbindung durch Medien soll sich idealer Weise wie von selbst herstellen, unbemerkt und eindeutig. Eindeutigkeit ist aber nur zu gewinnen durch die Produktion von Symptomen, festgezurrten Metaphern, wie es in krasser Form der Rohrstock tut, der nicht nur als Zeigestock, sondern auch zur Gravur des Körpers des Schülers benutzt wird. Solche Symptome werden gesetzt in der Absicht, am Körper des Adressaten die Register des Realen, des Symbolischen und de Imaginären eindeutig und auf Dauer an diesem einen Punkt der Bedeutung zusammenzuhalten. Der Verzicht auf die direkte körperliche Einschreibung verlangt nach Umwegen.
Es bleibt die Versuchung, auf dem direkten Weg, unmittelbar Sinn zu machen. Wenn man diese Vorgehensweise ablehnt, wird Sinn nicht als vorgegeben gedacht werden können …
Anmerkungen
1) Widerstreit ist hier im dem von Jean-François Lyotard (Lyotard 1989) entfalteten Sinne gebraucht.
Zur vollständigen version (pdf):
zeigestoecke.pdf