Deep Darkness – Über die Motivation Böses zu tun (Pazzini 2001)

Bedanken möchte ich mich für die Einladung, hier sprechen zu dürfen. Die Einladung kam kurzfristig. Und sie kam aufgrund eines Beitrages im Internet mit dem Titel „Für bedingte Unterstützung, gegen Terror und gegen Kriech“.
Ich werde die hier ausgestellten Werke von 19 Künstlern nicht interpretieren, jedenfalls nicht direkt. Sondern über die tiefe Dunkelheit des Bösen sprechen. „Wenn man spricht wird es heller“, heißt es in einer Traumdeutung Freuds. Und etwas über die Beweggründe beitragen, Böses zu tun. Und sie werden mir hoffentlich nicht böse sein, wenn ich dabei auf die weltpolitische Situation anspiele.
Das Böse – so will ich direkt eine Antwort versuchen – entsteht im inneren Ausland. Das ist das, was uns zusammenhält. Schon bei Kindern, nicht nur wenn sie Friedrich heißen. Friedrich war damals ein häufiger Namen als Heinrich Hoffmann 1846 den „Struwwelpeter“ schrieb. Vom Bösen Friedrich heißt es dort:
„Und höre nur, wie bös er war:
Er peitschte, ach, sein Gretchen gar!“
Eine zweite Kindergeschichte:
„Hab ich Böses heut getan, sieh es lieber Gott nicht an!“
Das ist ein Vers aus einem Kinderabendgebet. Offensichtlich rechneten die Verfasser damit, daß das Böse bei Kindern öfter vorkommt, jeden Abend die Frage danach auf dem Zettel steht.
Mein Bruder betet: „Hab ich Böses heut getan, geht es lieben Gott nichts an!“
Das war unorthodox. Solche Anwandlungen wurden für tendenziell bösartig gehalten.
Keiner tut etwas Böses an sich. Böses zu tun ist keine spezifische Form der Handlung, etwa wie laufen, Nase putzen, streicheln, reden.
Das Böse ist ein Relationsbegriff. Das Böse existiert nur im Verhältnis und im Gegensatz. Dem Bösen gegenüber muss sich mindestens einer als gut erklären. Und wenn er das tut, entsteht das Böse.
Das Böse existiert nur in einer polaren Anordnung. Gegenübergestellt ist natürlich das Gute.
Diese einfache Anordnung können wir uns nicht mehr leisten, die polare. (Konnte man sich eigentlich nie leisten.) Denn der absolute Bezugspunkt fehlt, von dem aus man in aller Ruhe die Beziehung betrachten könnte. Um wieder in diesen Stand zu komme, muss man gottähnlicher Fundamentalist werden, also fest davon überzeugt sein, dass man selber gut ist. Und Grund hat – keinen Grund mehr zu suchen. Und man deshalb alles andere vernichten muss. Dann ist alles wieder gut.
Ein Fundamentalist oder ein Terrorist ist jemand, der in die Enge gekommen ist, dessen labile Beziehungen, Relationen gerissen sind, zum Reißen gebracht wurden und dann verzweifelt, keine zwei Wege mehr offen hat. Wenn das nicht bemerkt wird, keine soziales Band mehr knüpfbar ist, dann sind diese Leute draußen, absolut draußen. Das kommt dem sozialen Tod gleich. Und dann ist es nicht mehr weit bis zur Selbsttötung.
Es gibt immer die Momente, wo andere die Chance hätten, ihr Gefüge zu dehnen, und einen anderen Kontakt zu versuchen. Wenn das nicht gelingt, und es kann misslingen, dann steht man ganz verletzlich da, weil dann auch die Schutzvorkehrungen, die labilen symbolischen und imaginären Grenzen, nichts mehr abhalten können.
Die müssen dann wiederhergestellt werden. Und es ist ziemlich klar, dass das dann gefährlich wird, weil ein Schiffsumbau bei Sturmflut auf hoher See notwendig wird, oder weil gleichzeitig ein anderes Sprechen, veränderte soziale Beziehungen und ein ganz realer Schutzschild notwendig werden. Die, die am gefährdetsten sind, die also, die die größte Nähe, zu den „Terroristen“, den Bösen haben, weil sie am wenigsten Halt in kulturellen Errungenschaften finden, sehen nur die wahnhafte Möglichkeit der Vernichtung des Bösen.
„Wir werden das Böse auf der Welt auslöschen“, sagt der Präsident Busch.
Befreiung aus diesem Wahn kann beide verletzen, die „Guten“ und die „Bösen“ wenn etwa die Grenze eine Glasscheibe ist.
Eine andere Methode gut zu werden, ist die bedingungslose Unterstützung dessen oder unbedingte Solidarität mit dem, der sich zum Guten erklärt. …
Zur vollständigen Version (pdf):
deep_darkness.pdf