Über die Produktivität von Unsinn – Ex- und Implosionen des Imaginären


Abgedruckt in: Warzecha, Birgit (Hg.): Hamburger Vorlesungen über Psychoanlyse und Erziehung, Hamburg: Lit Verlag 1999, S. 137 – 158.

VORAUSSETZUNG
Psychoanalyse opponiert gegen schon eingeführte, geforderte oder gewordene Eindeutigkeit in der Sprache als einer absoluten Forderung. Die Absolutheit der Forderung nach Eindeutigkeit verlangt ja nicht nur, „Sinn durch die Bezeichnungen zu ermöglichen, sondern daß es einen Sinn gibt: Jedem Satz seine Bedeutung. Das Spiel der Metonymien und Metaphern wird liquidiert“(1) und so das Leben.
Psychoanalyse ist so der Versuch, Imaginäres und Symbolisches zusammenzubringen über die Arbeit am Symptom. Eine spezifische Dimension des Symptoms, der Sinn, ist die nicht am eigenen Körper verankerte, von diesem relativ losgelöste Verbindung von Imaginärem und Symbolischem. Sie erscheint nicht direkt wahrnehmbar an diesem in Persistenz. Diese Verbindung, Sinn genannt, äußerst sich in ihrem zeitweiligen Überschlag ins Körperliche in einem gesteigerten Existenzgefühl, einer Zugehörigkeit, einer Bezogenheit, einer sicher erscheinenden Verbindung mit Objekten außerhalb des Subjekts. In der abgeschlossenen unbeweglichen, immer wieder wiederholten Form ist der Sinn in konventioneller Weise religiös. Es gilt ihn in Bewegung zu halten. Das wäre die Aufgabe fortgesetzter Religionskritik. Nicht deren Abschaffungsversuch.
BILDUNG
Im folgenden werde ich öfter von Bildung sprechen. Das hat zwei Gründe. Einen trivialen: Ich bin Lehrer. Grund- und Hauptschullehrer, Hochschullehrer und ich lehre auch in Seminaren zur Psychoanalyse. Der andere Grund liegt im Begriff selber: Er ist mir die deutsche Übersetzung des französischen (und lateinischen) „formation“, wie es in Lacans Arbeit: „Das Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion“ erscheint. Bildung, so wie ich den Begriff hier verwende, ist nicht als auf das Feld der Pädagogik beschränkt.
Ich erinnere daran, daß der deutsche Begriff der Bildung in einem theologisch-philosophischen Kontext erstmals bei Meister Eckhart gebraucht wird und dort eng verknüpft ist mit dem Prozeß einer gleichzeitigen Entbildung und einer neuerlichen Einbildung usw. Referenz ist das Bild Gottes, daß aber nicht als Ursache der Bildung gedacht ist, sondern als Wirkung. Meister Eckhart spricht von einer Verkehrung von Ursache und Wirkung, zumindest von einem Ineinander. Diesem Verständnis nach bezeichnet Bildung eine Relation, die das Imaginäre ans Symbolische und Reale heranführt. Sie bildet eine Textur, eine ethische Position, die der Unüberschreitbarkeit des eigenen Mangels und der Grenzen zum anderen Rechnung trägt. Sie ist immer vorläufige Antwort auf fehlenden Zusammenhalt. Sie ist nichts, was drinnen stattfindet und dann auf etwas Äußeres einwirkt, oder umgekehrt von außen nach innen wirkt. Bildung kann man nicht haben, lediglich einige sets als Voraussetzung, um bildende Relationen einzugehen, Bereitschaften. Bildung als Eigenschaft ist nichts anderes als Einbildung. Bildung erweist sich als genau die Relation, die das Subjekt in Existenz hält, sonst zerbröselt es und ist nirgendwo mehr auffindbar. Bildung lebt von der Beeindruckbarkeit, von der Irritierbarkeit, von Haltung und Stil.
Bildung als Relation hat wie jede Relation reale, imaginäre und symbolische Schichten. Dem Bewußtsein direkt zugänglich sind zuweilen die imaginären und symbolischen Schichten. Deshalb macht Bildung Angst, verunsichert steigert damit die Neugier und das Existenzgefühl. Die Verknüpfungen der Register, werden evoziert, indem die Relationen betrieben werden.
Heute geht es mir um einen kleinen Bestandteil dieser Relation mit folgender These:
Die Produktion von Unsinn und die Produktivität von Unsinn sind Phasen jeglicher Bildung (nicht nur im Pädagogischen). Diese Phase ist von erheblicher Unsicherheit und Angst gekennzeichnet, aber auch von Lust. Die Angst kann zur Aktivierung von Abwehrmechanismen und ganz allgemein zu Widerstand führen. Es kann zur Idolatrie kommen, der Anbetung vorhandener und zuhandener sinnvoller Bilder.
Es geht bei aufkommender Phase des Unsinns immer auch um die Kultivierung einer darin wieder freigesetzten Aggressivität, um die Vermeidung von Durchbrüchen in Aggression.
Bei der Bearbeitung werde ich mich der Unterstützung eines Schweizer Künstlers versichern: Roman Signer. Er ist Bildhauer, sculpteur. Was das heißt, wird man an Ausschnitten aus einem Film über seine Arbeit sehen können. Er lebt derzeit in St. Gallen, arbeitet in Bern und Appenzell. Aber auch in Bitterfeld, in Polen, am Stromboli, auf Island…
Anmerkungen
1) Lipowatz, Athanasios: Diskurs und Macht: Jacques Lacans Begriff des Diskurses. Marburg/Lahn, 1982, S. 146.
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unsinn.pdf